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Buch: Leas siebter Brief

Roman, dtv, München 1998

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Über das Buch

Zwei Frauen gehen zur Sache eine ostwestdeutsche Komödie. Judith kommt aus Ostberlin. Sie ist Malerin, knapp über dreißig, und versucht zu verstehen, was mit ihr, ihrem Staat und ihren Idealen seit 1989 passiert ist. Seit einem halben Jahr lebt sie in München, als heimliche Geliebte des erfolgreichen Rundfunkmannes Johannes, der gerne Brecht zitiert und sich heute noch »links« fühlt. Besonders glücklich ist Judith nicht in dieser Idylle, aber wirklich Angst kriegt sie erst, als eines Tages Lea bei ihr vor der Tür steht, die Ehefrau von Johannes, in schwarzen Lederklamotten, offenbar mit einer Pistole in der eleganten Handtasche Barbara Bronnens Roman über den Kampf zweier Frauen um einen (nicht allzu bedeutenden) Mann ist eine geschickte Beschreibung der gegensätzlichen Frauenbilder und Lebensweisen im vereinigten Deutschland. Daß dabei Eifersucht und Begehren, Liebe und viele kluge Beobachtungen zur sexuellen Ökonomie nicht zu kurz kommen, versteht sich angesichts des Themas von selbst.

Textprobe

»Ihr Haus? - wiederholte sie süffisant.
» Mein Haus! Und sie schnüffeln hier herum!«
Sie schritt gemächlich und mit jenem herausfordernden Arsch-Gang, wie ihn hier die Upper-Class-Frauen haben, zu meinem Arbeitstisch, griff sich einen Pinsel - zum Glück nicht den Rotmarder, sondern einen dünnen kleinen - und knickte ihn ab.
»Meine Sachen! Sie rühren das nicht an!«
Ich machte einen Satz und nahm den Rotmarderpinsel an mich.
»Oh«, sagte sie spitz, »die Reihenfolge ist falsch.«
»Die Reihennfolge!« schrie ich.
»Also Ihr Haus. Ihre Miete. Ihre Intimsphäre, kleine Zonenhure ... Und was ist mit meiner?«
»Hauen Sie ab! Halten Sie Ihren Mund!« Ich war außer mir. »Lassen Sie mich einen Arzt rufen, der gibt Ihnen Beruhigungspillen. Ich kann solche Szenen nicht brauchen. Ich lasse mich nicht beschimpfen - nicht in meinem Haus.«
»Ph! Ihr Haus. Ich weiß noch schlimmere Szenen! Szenen, die Sie nicht für möglich halten würden...« Ihr Gesicht war weiß.
»Sind Sie Schauspielerin oder was?«
»Ein kleines Hobby«, sagte sie. »Was würden Sie an meiner Stelle tun, wenn Sie wüßten, da wohnt eine Frau, die ideale Partnerin für so 'ne kleine Szene? Sie gehen so gedankenverloren vor sich hin und stehen plötzlich vor ihrem Haus...«
»Sie sind an der falschen Adresse, Madam.«
Das Wort Zonenhure arbeitete verspätet in meinem Gehirn, doch zum Nachdenken blieb mir wenig Zeit.
»Bin ich nicht.« Sie lachte wie eine Wahnsinnige. »Wohnt hier nicht Judith Herzfeld, Bonzenleckerin aus Ostberlin?«
Gawnó, sie war's. Ich hätte diese brutale Terroristin nicht mit Johannes in Verbindung gebracht. Die Frau war verrückt. Ich fühlte mich überrumpelt, voll Angst. Aber ich versuchte, mich zu wehren, mit zitternden Knien, stechendem Herzen. Ich war noch nie in meinem Leben so angegriffen worden, und ihre ordinären Vorwürfe und Beleidigungen empörten - und trafen mich.
»Hauen Sie ab!« Ich wiederholte mich.»Und Ihre Wortwahl sagt eine ganze Menge über Sie aus. Ich laß mich von Ihnen nicht so beschimpfen.« Meine Stimme brach. Harte Arbeit, das Bild wegzuschieben, Johannes und diese Frau...
»Genauso«, sagte sie »hab ich Sie mir immer vorgestellt ... eine entfesselte Kleinbürgerin ... Lust, ein bißchen aus dem Ostmuff herauszukommen und zu lernen, wie man Hummer ißt? Geil darauf, eine Westfrau im Bett zu unterwandern?« Sie keuchte fast. »Scharf darauf, wenigstens einen kleinen Zipfel des goldenen Westens zwischen den Beinen zu spüren? Versessen darauf, zu wissen, wie's so ein Westmann macht?« Schon pulte ich wie sie an meinen Nagelmonden und biß mir kleine Hautfetzchen ab.
Ehe ich mich's versah, war sie an meinem alten Plattenspieler, griff sich Norma aus meinem schmalen Sortiment heraus und umgab uns mit dem herzzerreißenden Gesang des dritten Akts.
Dann ging sie, als existiere ich nicht zu meinem Futon, packte mit entschlossenem Griff die Grappaflasche und schenkte sich ein.
Meine Erinnerungsbilder erfassen ein Aufspringen, einen Schlag auf ihre Hand, ein Gepolter und ihre Stimme, die kühl sagte: »Machen Sie das nicht noch einmal.«
»Aber das ist nun mal mein Grappa.«
»So, so!« sagte sie. »Ich glaube, wir nähern uns dem eigentlichen Problem. Ich habe das Privateigentum anderer stets respektiert. Wenn Sie es nicht angesprochen hätten, hätte ich es auch nicht erwähnt. Aber der Grappa hier, wenn Sie gestatten, gehört nicht Ihnen, sondern Johannes.«
Sie trank das Glas aus und warf es mit voller Wucht gegen die Wand...

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