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Artikel

Die Ulanka (Süddeutsche Zeitung vom 12. 9. 14)

von Barbara Bronnen

Ich bin nicht auf Prada aus, sondern auf Kleider mit Geschichte. Und sie haben alle etwas zu erzählen, die Kleider, die in meinem Schrank hängen, und manches geht an die Haut. Nein, nicht Kleider machen Leute, sie werden ein Teil von ihnen.

Am geschichtsträchtigsten ist die gewendete und umfrisierte Ulanka, der Waffenrock des Großvaters Ernst von Lossow, der bei den Chevauleger, von meiner Großmutter respektlos "Schwollis" genannt, der Einheitskavallerie des Bayerischen Heeres, diente. Mit diesem Waffen- rock, dessen karmesinroten Plastron (meine Großmutter nannte ihn Lätzchen) ich wie die eckigen Epauletten entfernte. Mit seinen zwei Reihen exquisiter Silberknöpfe zog ich, ärmliche siebzehnjährige Werkstudentin, in die Bildungsschlacht der Universität. Kleider- käufe konnte ich mir nicht leisten, also beraubte ich den Kleiderschrank meiner Großmutter, einer wahren Heldin des Resycling. So schnappte ich mir auch ihren herrlichen Halsschmuck mit dem hässlichen Namen Kropfband, aus hunderten feinster silberweißer und schwarzer Perlen gefertigt, die ein Art-deco-Muster bildeten, ihr schwarzes Spitzenjabot zur weißen Seidenbluse oder das aus feinem Stroh geflochtene schwarze Hütchen mit dem gepunkteten Schleier. Auch die zarten Ornamente der eisernen Kette, die sie im Zweiten Weltkrieg für ihr Gold erhalten hatte, riß ich mir unter den Nagel. Aber die Ulanka erzählt mir am meisten. Mehr noch, sie kennzeichnet Großvaters Beruf und Stand. Er tat es nun mal nicht unter einer gewissen Qualität, und oft befühlte ich in den Seminaren das feine, samtige Tuch in edlem Dunkelblau.

Die Hose, ellenlang, denn die Lossows waren allesamt fast zwei Meter groß (bei den Ulanen galten ähnliche Gardemaße wie auf dem Lido von Paris) mußte ich verschmähen. Diese edle Jacke hätte ein besseres Los verdient, als, gebläht von nationalem Hochgefühl, das sich im Ersten Weltkrieg austobte und von einer schlichten Lanze bewehrt, in dreckigen West- und später Ostfrontgräben beschmutzt und von Säbelstichen verwundet zu werden. Dennoch fiel ihr ein edleres Los zu als dem Waffenrock des Cousins Otto von Lossow, der für den Boxeraufstand in China, die Schlacht bei Lüleburgaz und schließlich für den Marsch auf die Feldherrnhalle am 9. November 1923 mißbraucht wurde.

Den Zweiten Weltkrieg mußte die Ulanka nicht mehr erleben: nun wurde Ernst von Lossow im schlichtem Feldgrau, passend zum Haar, zum zweiten Mal an die Front geschickt. So überstand die Ulanka das neuerliche Grauen ohne Blessuren und mußte den Abscheu des Trägers nicht erleben, die ihn vor Entsetzen beutelte: mit Schüttellähmung kehrte Ernst von Lossow aus dem Zweiten Weltkrieg zurück. Da hängt sie nun, die gute Ulanka, und ihre Geschichte ist beinahe zu Ende. Dabei hätte sie noch so viel zu erzählen. Doch keiner da außer mir, der sie fragt.

Einige Artikel aus der Münchner Abendzeitung

2005 bis 2007 schrieb Barbara Bronnen jeden Dienstag die Kolumne »Über uns« in der Beilage »50+« der Münchner Abendzeitung

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Stapel der Vorhölle
Wie ungelesene Bücher strafversetzt werden. Erschienen am Dienstag, 30.4.2007 (Grosses Bild)
Wir verzetteln uns
Schnipsel, Ausschnitte, Kritzeleien: Mein seltsames Archiv. Erschienen am Dienstag, 24.4.2007 (Grosses Bild)
Die Welt der Buben
Öde Machos und Schlaffis: Zwei Mädchen über ihre Schulkameraden. Erschienen am Dienstag, 10.4.2007 (Grosses Bild)
Sandpanierte Oma
Gegen separierte »Senioren-Spielplätze«, für Generationen-Treffs. Erschienen am Dienstag, 3.4.2007 (Grosses Bild)
Doppelt hält besser
Lebendig, niemals langweilig: Meine Schwester und ich. Erschienen am Dienstag, 27.3.2007 (Grosses Bild)
Wie eine Katze
Der schöne Erich (76) und seine Frauen-Typologie. Erschienen am Dienstag, 20.3.2007 (Grosses Bild)
Viagra für wilden Wein
... und eine Standpauke für die alte Geranie: Was Pflanzen gut tut. Erschienen am Dienstag, 13.3.2007 (Grosses Bild)
Il Professore
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Technik-Muffel
Über Milchverpackungsdesigner, Saugboys und Zauberstäbe. Erschienen am Dienstag, 16.1.2007 (Grosses Bild)
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Erotisch, rebellisch und immer persönlich: Der Brief. Erschienen am Dienstag, 9.1.2007 (Grosses Bild)
Kleiner Rausch
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Sehnsüchte
Nach dem Fest ist vor dem Fest – und andere Gesetze. Erschienen am Dienstag, 19.12.2006 (Grosses Bild)
Stille Nacht?
Im Advent wird die Stadt musikalisch. Erschienen am Dienstag, 12.12.2006 (Grosses Bild)
Auf Lesereise
Wo man die tollsten Leute kennenlernt. Erschienen am Dienstag, 5.12.2006 (Grosses Bild)
Sofa-Stunde
Das nervöse Kuscheln bei der gemeinsamen Lektüre. Erschienen am Dienstag, 28.11.2006 (Grosses Bild)
Sorgenkind
Wenn der eigene Sohn auf die schiefe Bahn gerät. Erschienen am Dienstag, 21.11.2006 (Grosses Bild)
Die schnelle Amanda
Was eine Münchner Komponistin als Taxifahrerin erlebt. Erschienen am Dienstag, 14.11.2006 (Grosses Bild)
Der Dichter unterm Dach
... und wie man ihn schließlich vertrieben hat. Erschienen am Dienstag, 7.11.2006 (Grosses Bild)
Handgeschrieben
Altmodisch, aber hochpersönlich: das Adressbüchlein. Erschienen am Dienstag, 24.10.2006 (Grosses Bild)
Zurück an die Uni
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In den Augen der Anderen
Kichern über Noten und Zeugnisse: das Klassentreffen. Erschienen am Dienstag, 10.10.2006 (Grosses Bild)
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Über das Verhältnis zwischen »Gastarbeitern« und Deutschen. Erschienen am Dienstag, 2.10.2006 (Grosses Bild)
Bis die Nasen Funken schlagen
Statt Schreibtisch: Mit der kleinen Enkelin durch München radeln. Erschienen am Dienstag, 19.9.2006 (Grosses Bild)
Lauter Sommer(ge)räusche
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Ein Vater zum Verlieben
Neue Aufgabe für einen Münchner (75): Seine Freundin kriegt ein Baby. Erschienen am Dienstag, 29.8.2006 (Grosses Bild)
Biergenuss und Fleischeslust
Zuhören und mitreden – unterm Chinesischen Turm geht’s besonders gut. Erschienen am Dienstag, 22.8.2006 (Grosses Bild)
Kadermäßige Kinderpolitik
Lässt sie keinen Raum mehr für Großmütter und Großväter?. Erschienen am Montag/Dienstag, 14/15.8.2006 (Grosses Bild)
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Wo Surfer wirbeln, Nackerte sondieren und Brüste fliegen. Erschienen am Dienstag, 8.8.2006 (Grosses Bild)
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Vorlesen:Was junge und ältere Menschen voneinander lernen können. Erschienen am Dienstag, 1.8.2006 (Grosses Bild)
Eine für (fast) alle
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Magische Momente: MännlicheWaden mieten und sich wie eine Prinzessin fühlen. Erschienen am Dienstag, 18.7.2006 (Grosses Bild)
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Rotwein aus der Toskana – ein Heilmittel für Bauern wie für Urlauber. Erschienen am Dienstag, 11.7.2006 (Grosses Bild)
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Was denn für ein Schatz
Wenn eine Frau ihren Ex-Mann in der Buchhandlung trifft. Erschienen am Dienstag, 13.6.2006 (Grosses Bild)
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